Das eigene Tempo

Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, noch viel mehr in meinem eigenen Tempo zu leben: Was bringt es, immer wieder Dingen nachzulaufen und sich wegen irgendwelcher Termine abzuhetzen? Ein Leben, bei dem man nie im Augenblick ankommt; ein Leben, das nie ausgekostet und nie richtig gelebt wird. Ein Leben, bei dem man kaum zu sich kommt.

Selbstverständlich muss auch ich Termine einhalten, die ich selbst vereinbart habe, das ist in der heutigen Arbeitswelt unabdingbar. Der Punkt ist aber: Ich hab mich selbst dazu bereit erklärt. Ich selbst habe entschieden, dass ich etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig haben will – wohlgemerkt: will, nicht muss!  (Joseph O’Connor hat uns dafür das großartige Bild vom inneren Tyrannen geschenkt, als der wir uns quasi selbst im Nacken sitzen.) Also trägt auch kein anderer die Verantwortung oder gar Schuld daran, dass ich Terminvorgaben habe. Es ist ein beliebter Irrglaube, dass wir keinen Einfluss darauf haben, welche Termine wir einhalten müssen. Selbst wenn uns ein Chef oder eine Chefin etwas Eiliges anschafft, entscheiden wir meist selbst, welche anderen Aufgaben weniger wichtig sind und stattdessen nicht termingerecht erledigt werden. Jeder Mensch in jedem Job hat zumindest einen gewissen Entscheidungsspielraum; außer man verschließt die Augen davor.

Schon wesentlich leichter fällt die notwendige Pflichterfüllung, wenn man erkennt, dass man sich selbst unter das Joch einer herannahenden Deadline begeben hat. Was für ein Wort: Joch. Und erst Deadline! Als ob danach das Leben gar nicht mehr weitergeht. Jedenfalls nicht, wenn man es nicht schafft, den Termin zu halten, das suggeriert so ein Begriff.

Sich die eigene Zeit nehmen und im eigenen Tempo vorgehen – wie oft schafft man das schon? Unerbittlich sind wir in das unmenschliche Zerhacken der Zeit in abstrakte Einheiten eingebunden: Was ist uns eine Minute, eine Viertelstunde, eine Stunde verglichen mit einer Tasse Tee, dem Lösen eines Kreuzworträtsels oder Sudokus, dem Lesen eines Buchs, dem Erledigen einer Arbeit in dem Tempo, das uns die Aufgabe selbst, unsere Tagesform und die vorhandenen Werkzeuge bzw. Mittel vorgeben?  Das Ganz-bei-der-Sache-Sein, mittlerweile Flow genannt, wir haben es fast verlernt vor lauter „Arbeit“ – doch die Arbeit, wie jede Pflichterfüllung, ist genauso ein Teil des Lebens wie die Zeit davor und danach! Was spricht also dagegen, bei der Arbeit auch im Flow zu sein, nicht nur in der Freizeit?!